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>Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden (Az. A 11 S 316/17). | >Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden (Az. A 11 S 316/17). | ||
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+ | ===== - Taliban ===== | ||
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+ | ==== - VG Düsseldorf, | ||
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+ | >Dem Vorbringen des Klägers | ||
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+ | >- Versuch der Zwangsrekrutierung durch einen für die Taliban tätigen Onkel verbunden mit vielfältigen Bedrohungen, | ||
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+ | >ist ein auf flüchtlingsrelevante Merkmale gerichteter Zugriff zu entnehmen, dem insbesondere eine Verfolgung wegen der politischen und religiösen Überzeugung zu entnehmen ist. Die geltend gemachte Verfolgung zielt auf eine dem Kläger und seinen Eltern zugeschriebene Gesinnung und des Weiteren auf unveräußerlichen persönlichen Merkmalen. Es handelt sich aufgrund der glaubhaften Darstellungen des Klägers nicht lediglich um familieninterne Auseinandersetzungen. | ||
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+ | >Im Falle des Klägers wird die von seinem den Taliban zugehörenden Onkel aufgestellte und nachdrücklich verfolgte Forderung nach Teilnahme am Dschihad weitergehend verknüpft mit dem Ansinnen, das aus Sicht der Taliban grob schuldhafte, | ||
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+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
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+ | >oder bei Desertion aus einem (Ausbildungs-) Lager einer kämpfenden Einheit der Taliban, | ||
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+ | >vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 25.01.2013 - 5 A 293/11 MD -; VG Sigmaringen, | ||
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+ | >[...] | ||
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+ | >Der Kläger befand sich beim Verlassen Afghanistans in einer Situation, in der er mit einer unnachsichtigen Verfolgung und Übergriffen bis zur Tötungshandlung seitens seines Onkels und seiner Gruppierung von Taliban rechnen musste. Auch wenn das Vorgehen solcher Gruppierungen nicht im Einzelnen einschätzbar ist, | ||
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+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >musste der Kläger entweder mit „Bestrafung“ seiner selbst oder von Familienangehörigen und mit erheblicher Druckausübung mit dem Ziel rechnen, ihn zu den von ihm verlangten Unterstützungsleistungen zu zwingen oder aus Rache wegen seiner Flucht bei Erbringung dieser Unterstützungsleistungen. Im Falle einer Verweigerung drohte ihm oder seinen Angehörigen ein körperlicher Übergriff von erheblichem Gewicht. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Gruppierung angesichts des Zeitablaufs inzwischen das Interesse an ihm verloren haben könnte. Dagegen spricht, dass sein Onkel für eine entsprechende Verfolgung sorgen könnte wegen der aus seiner Sicht nicht gesühnten, verabscheuungswürdigen schweren religiösen und politischen Verfehlung seiner, des Klägers, Eltern und seiner Ablehnung, in den Dschihad zu ziehen. | ||
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+ | >Die Taliban gehören gemäß § 3c AsylG zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann. Dies sind nach Nr. 3 der Vorschrift nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nr. 1 und 2 der Vorschrift genannten Akteure (Staat, Parteien und Organisationen, | ||
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+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >und auch hier ist dies nicht ersichtlich. | ||
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+ | >Der Kläger kann sich erfolgreich darauf berufen, dass ihm interner Schutz in Afghanistan nach § 3e Abs. 1 AsylG nicht zur Verfügung steht. Dies ist für den Kläger weder in seiner Heimatprovinz [...] noch in Kabul oder andernorts, z.B. Herat oder Mazar-e Sharif gesichert. | ||
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+ | > | ||
+ | >vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 = NVWZ 2008, 1241 und vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, a.a.O. | ||
+ | > | ||
+ | >Der Einzelrichter kann nicht erkennen, dass der Kläger für die Taliban nicht weitervon Interesse ist, so dass er andernorts in Afghanistan Schutz vor Verfolgung finden kann. Hier sprechen keine hinreichend stichhaltigen Gründe dagegen, dass der Kläger auch an einem anderen Ort in Afghanistan erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Es besteht die ernsthate Möglichkeit, | ||
+ | > | ||
+ | >VG Düsseldorf, | ||
+ | >Vgl. ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation), | ||
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+ | >Auf dieser Grundlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Taliban nicht nur ein Interesse an der Auffindung des Klägers und seiner Eltern haben, sondern ihnen dies auch gelingen wird; das persönliche Interesse des Onkels des Klägers erhöht die Möglichkeit des Auffindens in besonderem Maße. Dass dieses Auffinden gelingen kann, hat der Kläger geschildert; | ||
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+ | >Bei angenommener Rückkehr wird der Kläger seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichern müssen und dürfte daher keine Möglichkeit haben, sich zu verstecken, zumal ein Aufenthalt im Heimatdorf ausgeschlossen ist. Er würde damit nach den in Afghanistan herrschenden Mechanismen der Identifizierung und Überprüfung von Fremden seine Herkunft offenbaren müssen, womit seine Rückkehr voraussichtlich auch in seiner Heimatregion bekannt würde und damit dortigen Taliban, mithin seinem Onkel, zu Ohren kommen könnte. Umgekehrt wäre es auch möglich, dass er in Kabul als Ortsfremder und Rückkehrer aus dem Ausland den Taliban auffallen würde und diese über ihre Netzwerke Erkundigungen über ihn einholen würden. | ||
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+ | >Vgl. zum Ganzen auch OVG Lüneburg, Urteil vom 28.07.2014 - 9 LB 2/13 -, juris (Rn. 26ff. und 34), und die dort wiedergegebene gutachterliche Stellungnahme des Dr. Danesch vom 30.04.2103; | ||
+ | >VG Greifswald, Urteil vom 31.08.2016 - 3 A 244/16 As HGW -, juris (Rn. 41, 45). | ||
+ | > | ||
+ | >Der Einzelrichter hält es unter den Umständen des vorliegenden Falles für wahrscheinlich, | ||
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+ | >Vgl. VG Berlin, Urteil vom 14062017 - 16 K 219,17 A -, juris. | ||
+ | >VG Düsseldorf, | ||
+ | >vgl. auch VG Lüneburg, Urteıl vom 14.08.2017 - 3 A 146/15 -, juris, und Urteil vom 29.05.2017 - 3 A 118/16 -, | ||
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+ | >Wegen seiner gemischt-ethnischen Herkunft dürfte der Kläger ohnehin erhöhte Schwierigkeiten haben, sich der Solidarität der einen oder anderen Ethnie zu versichern oder in nach Herkunft geordneten Stadtvierteln von Kabul Obdach und Arbeit zu erhalten. Jedenfalls würde er verstärkte Nachforschungen durch die Nachbarschaft auslösen. Auch dazu hat er seine in den ersten Wochen in Kabul gemachten Erfahrungen hinreichend geschild[...]ert. | ||
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+ | >Ein Leben in vollständiger Anonymität ist nach den vorliegenden Erkenntnissen in Afghanistan auch in den Großstädten nicht möglich. Um eine Unterkunft und erst recht eine Arbeitsstelle zu finden, bedarf es sozialer Kontakte. Neu hinzuziehenden Personen wird mit Vorsicht und Misstrauen begegnet; üblich ist jedenfalls eine Rückversicherung über die Herkunft, den Status und die Absichten des Zuzüglers. Es bedarf im Rahmen des allgemein erwarteten sozialen Wohlverhaltens eines glaubhaften „Leumundszeugnisses“. Derjenige, der ein Leben in einer neuen Umgebung beginnen will, muss also zumindest seinen Herkunftsort, | ||
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+ | >Vgl. VG Düsseldorf, | ||
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+ | >Selbst wenn der Kläger seine Existenz sichern könnte, wäre er unter den im vorliegenden Fall erkennbaren Umständen dort vor Nachstellungen der Taliban nicht hinreichend geschützt. Eine Rückkehr nach Afghanistan ist auf dieser Grundlage für den Kläger nicht zumutbar. | ||
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+ | ===== - Geschlechtsspezifische Verfolgung ===== | ||
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+ | ==== - OVG Lüneburg 9. Senat, Urteil vom 21.09.2015, 9 LB 20/14 ==== | ||
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+ | Leitsätze: | ||
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+ | >**1. Afghanische Frauen, die infolge eines längeren Aufenthalts in Europa in einem solchen Maße in ihrer Identität westlich geprägt sind, dass sie entweder nicht mehr dazu in der Lage wären, bei einer Rückkehr in die Islamische Republik Afghanistan ihren Lebensstil den dort erwarteten Verhaltensweisen und Traditionen anzupassen, oder denen dies infolge des erlangten Grads ihrer westlichen Identitätsprägung nicht mehr zugemutet werden kann, bilden eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylVfG.** | ||
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+ | >**2. Die Annahme eines westlichen Lebensstils ist nach § 3b Abs. 1 Nr.4a Halbsatz 1 AsylVfG nur beachtlich, wenn er die betreffende Frau in ihrer Identität maßgeblich prägt, d.h. auf einer ernsthaften und nachhaltigen inneren Überzeugung beruht.** | ||
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+ | >**3. Ob eine in ihrer Identität westlich geprägte afghanische Frau im Fall ihrer Rückkehr in die Islamische Republik Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG ausgesetzt ist, bedarf einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist die individuelle Situation der Frau nach ihrem regionalen und sozialen, insbesondere dem familiären Hintergrund zu beurteilen.** | ||
===== - Hazara ===== | ===== - Hazara ===== |