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====== Afghanistan ====== | ====== Afghanistan ====== | ||
- | ===== - Sicherheitslage und humanitäre Bedingungen | + | ===== - Flüchtlingseigenschaft, |
- | ==== - VGH Baden-Württemberg, | + | ==== - Taliban |
- | PM: | + | === - VG Gelsenkirchen, |
- | >**Asyl Afghanistan: | + | >Das Gericht geht davon aus, dass dem Kläger |
> | > | ||
- | >Datum: 23.10.2018 | + | >Anhaltspunkte dafür, mit der Machtübernahme habe sich die Situation für die diejenigen, die die Taliban als ihre Feinde betrachten, geändert, sind nicht ersichtlich. |
+ | >Auf Menschenverachtung beruhende Grausamkeit und Brutalität sind seit Jahrzehnten wesentliche Charakteristika der Taliban. Allein deshalb spricht schon alles dafür, dass diese Organisation auch die neu gewonnene Herrschaft mit den ihr geläufigen „Mitteln“ durchsetzen und festigen wird. Das Gericht übersieht dabei nicht, dass führende Angehörige der Taliban sich im Sinne einer Amnestie für ihre Gegner geäußert haben. | ||
> | > | ||
- | >Kurzbeschreibung: | + | >Vgl. z.B. Taliban verkünden Kriegsende und Amnestie, tagesschau.de am 18. August 2021. |
- | >Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2018 heute das Urteil im Asylverfahren eines afghanischen Staatsangehörigen verkündet. Die erstinstanzliche Entscheidung, mit der die Asylklage des Mannes abgewiesen worden war, wurde dabei im Wesentlichen bestätigt. | + | |
> | > | ||
- | >Der Kläger war von früher Kindheit an im Iran aufgewachsen | + | >Angesichts des Verhaltens der Taliban in der Vergangenheit |
> | > | ||
- | >Der 11. Senat des VGH hat sich im Berufungsverfahren | + | >Vgl. z.B. Weniger Frauen, keine Unterhaltung: |
> | > | ||
- | >Der VGH konnte sich im Ergebnis nicht davon überzeugen, dass dem Kläger | + | >Die demnach bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung des Klägers knüpft |
+ | |||
+ | {{: | ||
+ | |||
+ | === - VG Düsseldorf, Urteil vom 22.04.2020, 21 K 17756/17.A === | ||
+ | |||
+ | >Dem Vorbringen des Klägers | ||
> | > | ||
- | > | + | >- Versuch der Zwangsrekrutierung durch einen für die Taliban tätigen Onkel verbunden mit vielfältigen Bedrohungen, |
+ | > | ||
+ | >ist ein auf flüchtlingsrelevante Merkmale gerichteter Zugriff zu entnehmen, dem insbesondere eine Verfolgung wegen der politischen und religiösen Überzeugung zu entnehmen ist. Die geltend gemachte Verfolgung zielt auf eine dem Kläger und seinen Eltern zugeschriebene Gesinnung und des Weiteren auf unveräußerlichen persönlichen Merkmalen. Es handelt sich aufgrund der glaubhaften Darstellungen des Klägers | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Im Falle des Klägers wird die von seinem den Taliban zugehörenden Onkel aufgestellte und nachdrücklich verfolgte Forderung nach Teilnahme am Dschihad weitergehend verknüpft mit dem Ansinnen, das aus Sicht der Taliban grob schuldhafte, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >oder bei Desertion aus einem (Ausbildungs-) Lager einer kämpfenden Einheit der Taliban, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 25.01.2013 - 5 A 293/11 MD -; VG Sigmaringen, | ||
+ | > | ||
+ | >[...] | ||
+ | > | ||
+ | >Der Kläger befand sich beim Verlassen Afghanistans in einer Situation, in der er mit einer unnachsichtigen Verfolgung und Übergriffen bis zur Tötungshandlung seitens seines Onkels und seiner Gruppierung von Taliban rechnen musste. Auch wenn das Vorgehen solcher Gruppierungen nicht im Einzelnen einschätzbar ist, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >musste der Kläger entweder mit „Bestrafung“ seiner selbst oder von Familienangehörigen und mit erheblicher Druckausübung mit dem Ziel rechnen, ihn zu den von ihm verlangten Unterstützungsleistungen zu zwingen oder aus Rache wegen seiner Flucht bei Erbringung dieser Unterstützungsleistungen. Im Falle einer Verweigerung drohte ihm oder seinen Angehörigen ein körperlicher Übergriff von erheblichem Gewicht. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Gruppierung angesichts des Zeitablaufs inzwischen das Interesse an ihm verloren haben könnte. Dagegen spricht, dass sein Onkel für eine entsprechende Verfolgung sorgen könnte wegen der aus seiner Sicht nicht gesühnten, verabscheuungswürdigen schweren religiösen und politischen Verfehlung seiner, des Klägers, Eltern und seiner Ablehnung, in den Dschihad zu ziehen. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die Taliban gehören gemäß § 3c AsylG zu den Akteuren, von denen Verfolgung ausgehen kann. Dies sind nach Nr. 3 der Vorschrift nichtstaatliche Akteure, sofern die in den Nr. 1 und 2 der Vorschrift genannten Akteure (Staat, Parteien und Organisationen, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >und auch hier ist dies nicht ersichtlich. | ||
+ | > | ||
+ | >Der Kläger kann sich erfolgreich darauf berufen, dass ihm interner Schutz in Afghanistan nach § 3e Abs. 1 AsylG nicht zur Verfügung steht. Dies ist für den Kläger weder in seiner Heimatprovinz [...] noch in Kabul oder andernorts, z.B. Herat oder Mazar-e Sharif gesichert. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 = NVWZ 2008, 1241 und vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 -, a.a.O. | ||
+ | > | ||
+ | >Der Einzelrichter kann nicht erkennen, dass der Kläger für die Taliban nicht weitervon Interesse ist, so dass er andernorts | ||
+ | > | ||
+ | >VG Düsseldorf, | ||
+ | >Vgl. ACCORD (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation), | ||
+ | > | ||
+ | >Auf dieser Grundlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Taliban nicht nur ein Interesse an der Auffindung des Klägers und seiner Eltern haben, sondern ihnen dies auch gelingen wird; das persönliche Interesse des Onkels des Klägers erhöht die Möglichkeit des Auffindens in besonderem Maße. Dass dieses Auffinden gelingen kann, hat der Kläger geschildert; | ||
+ | > | ||
+ | >Bei angenommener Rückkehr wird der Kläger seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichern müssen und dürfte daher keine Möglichkeit haben, sich zu verstecken, zumal ein Aufenthalt im Heimatdorf ausgeschlossen ist. Er würde damit nach den in Afghanistan herrschenden Mechanismen der Identifizierung und Überprüfung von Fremden seine Herkunft offenbaren müssen, womit seine Rückkehr voraussichtlich auch in seiner Heimatregion bekannt würde und damit dortigen Taliban, mithin seinem Onkel, zu Ohren kommen könnte. Umgekehrt wäre es auch möglich, dass er in Kabul als Ortsfremder und Rückkehrer aus dem Ausland den Taliban auffallen würde und diese über ihre Netzwerke Erkundigungen über ihn einholen würden. | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. zum Ganzen auch OVG Lüneburg, Urteil vom 28.07.2014 - 9 LB 2/13 -, juris (Rn. 26ff. und 34), und die dort wiedergegebene gutachterliche Stellungnahme des Dr. Danesch vom 30.04.2103; | ||
+ | >VG Greifswald, Urteil vom 31.08.2016 - 3 A 244/16 As HGW -, juris (Rn. 41, 45). | ||
+ | > | ||
+ | >Der Einzelrichter hält es unter den Umständen des vorliegenden Falles für wahrscheinlich, | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. VG Berlin, Urteil vom 14062017 - 16 K 219,17 A -, juris. | ||
+ | >VG Düsseldorf, | ||
+ | >vgl. auch VG Lüneburg, Urteıl vom 14.08.2017 - 3 A 146/15 -, juris, und Urteil vom 29.05.2017 - 3 A 118/16 -, | ||
+ | > | ||
+ | >Wegen seiner gemischt-ethnischen Herkunft dürfte der Kläger ohnehin erhöhte Schwierigkeiten haben, sich der Solidarität der einen oder anderen Ethnie zu versichern oder in nach Herkunft geordneten Stadtvierteln von Kabul Obdach und Arbeit zu erhalten. Jedenfalls würde er verstärkte Nachforschungen durch die Nachbarschaft auslösen. Auch dazu hat er seine in den ersten Wochen in Kabul gemachten Erfahrungen hinreichend geschild[...]ert. | ||
+ | > | ||
+ | >Ein Leben in vollständiger Anonymität ist nach den vorliegenden Erkenntnissen in Afghanistan auch in den Großstädten nicht möglich. Um eine Unterkunft und erst recht eine Arbeitsstelle zu finden, bedarf es sozialer Kontakte. Neu hinzuziehenden Personen wird mit Vorsicht und Misstrauen begegnet; üblich ist jedenfalls eine Rückversicherung über die Herkunft, den Status und die Absichten des Zuzüglers. Es bedarf im Rahmen des allgemein erwarteten sozialen Wohlverhaltens eines glaubhaften „Leumundszeugnisses“. Derjenige, der ein Leben in einer neuen Umgebung beginnen will, muss also zumindest seinen Herkunftsort, | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. VG Düsseldorf, | ||
+ | > | ||
+ | >Selbst wenn der Kläger seine Existenz sichern könnte, wäre er unter den im vorliegenden Fall erkennbaren Umständen dort vor Nachstellungen der Taliban nicht hinreichend geschützt. Eine Rückkehr nach Afghanistan ist auf dieser Grundlage für den Kläger nicht zumutbar. | ||
- | ===== - Hazara ===== | + | {{: |
- | ==== - VGH Baden-Württemberg, | + | ==== - Geschlechtsspezifische Verfolgung ==== |
+ | |||
+ | === - OVG Lüneburg 9. Senat, Urteil vom 21.09.2015, 9 LB 20/14 === | ||
+ | |||
+ | Leitsätze: | ||
+ | |||
+ | >**1. Afghanische Frauen, die infolge eines längeren Aufenthalts in Europa in einem solchen Maße in ihrer Identität westlich geprägt sind, dass sie entweder nicht mehr dazu in der Lage wären, bei einer Rückkehr in die Islamische Republik Afghanistan ihren Lebensstil den dort erwarteten Verhaltensweisen und Traditionen anzupassen, oder denen dies infolge des erlangten Grads ihrer westlichen Identitätsprägung nicht mehr zugemutet werden kann, bilden eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylVfG.** | ||
+ | > | ||
+ | >**2. Die Annahme eines westlichen Lebensstils ist nach § 3b Abs. 1 Nr.4a Halbsatz 1 AsylVfG nur beachtlich, wenn er die betreffende Frau in ihrer Identität maßgeblich prägt, d.h. auf einer ernsthaften und nachhaltigen inneren Überzeugung beruht.** | ||
+ | > | ||
+ | >**3. Ob eine in ihrer Identität westlich geprägte afghanische Frau im Fall ihrer Rückkehr in die Islamische Republik Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylVfG ausgesetzt ist, bedarf einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist die individuelle Situation der Frau nach ihrem regionalen und sozialen, insbesondere dem familiären Hintergrund zu beurteilen.** | ||
+ | |||
+ | ==== - Hazara ==== | ||
+ | |||
+ | === - VGH Baden-Württemberg, | ||
Leitsätze: | Leitsätze: | ||
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>1. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan keiner an ihre Volks- oder ihre schiitische Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung. | >1. Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan keiner an ihre Volks- oder ihre schiitische Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung. | ||
> | > | ||
- | >2. Die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni ist nicht derart schlecht, dass jede Zivilperson unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen allein aufgrund ihrer Anwe¬senheit | + | >2. Die Sicherheitslage in der Provinz Ghazni ist nicht derart schlecht, dass jede Zivilperson unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen allein aufgrund ihrer Anwesenheit |
> | > | ||
>Die Zugehörigkeit zum Volk der Hazara begründet insoweit keinen individuell gefahrerhöhenden Umstand. | >Die Zugehörigkeit zum Volk der Hazara begründet insoweit keinen individuell gefahrerhöhenden Umstand. | ||
> | > | ||
>3. Auch für einen dem Volk der Hazara zugehörigen leistungsfähigen, | >3. Auch für einen dem Volk der Hazara zugehörigen leistungsfähigen, | ||
+ | |||
+ | ===== - Interner Schutz, § 3e AsylG ===== | ||
+ | |||
+ | ==== - VG Düsseldorf, | ||
+ | |||
+ | >Es mag offen bleiben, ob die Einschätzung der Beklagten, die Kläger seien in Kabul vor den Nachstellungen der Taliban sicher, da deren Geheimdienst nur begrenzte Kapazitäten habe und daher nur Personen, an denen kein besonderes Interesse bestehe, in den großen Städten nicht verfolgen könne, nach der Einnahme ganz Afghanistans und insbesondere auch der Stadt Kabul noch tragfähig ist, denn zumindest müssen sich die Kläger nicht auf Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne der §§ 4 Abs. 3, 3e AsylG verweisen lassen, denn von ihnen kann vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass sie sich dort niederlassen. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >VGH BW, Urteil vom 29. November 2019 – A 11 S 2376/19 -, in: juris (Rn. 23 ff). | ||
+ | > | ||
+ | >Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, ob aus objektiver Sicht die grundlegenden Bedürfnisse des Betroffenen befriedigt werden können, | ||
+ | > | ||
+ | >VGH BW, Urteil vom 29. November 2019 – A 11 S 2376/19 -, in: juris (Rn. 29). | ||
+ | > | ||
+ | >Es muss also in jedem Fall am Ort des internen Schutzes die Existenzsicherung des Betroffenen gewährleistet sein, | ||
+ | > | ||
+ | >VGH BW, Urteil vom 29. November 2019 – A 11 S 2376/19 -, in: juris (Rn. 32). | ||
+ | > | ||
+ | >Dies geht als Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus Für die Kläger muss wenigstens das Existenzminimum insoweit gesichert sein, dass sie durch Arbeit oder Zuwendungen Dritter jedenfalls nach der Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können, | ||
+ | > | ||
+ | >VG Lüneburg, Urt. vom 8. Januar 2018 – 2 A 307/16 – in: juris (Rn. 40). | ||
+ | > | ||
+ | >Der Einzelrichter hat unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel durchgreifende Zweifel, dass dies für die Kläger in ihrer individuellen Situation angenommen sowohl für Kabul, als auch für Afghanistan insgesamt werden kann. | ||
+ | > | ||
+ | >Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat sich zusehends verschlechtert, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
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+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die neue afghanische Regierung hat zudem keinen Zugriff auf einen wesentlichen Teil der Devisenreserven Afghanistans, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die Wirtschaft in Afghanistan ist nach den Einschätzungen der Vereinten Nationen weitgehend zusammengebrochen. Viele Afghanen hätten ihre Jobs verloren und nun kaum noch Geld. Es drohe ein wirtschaftlicher Zusammenbruch des Staates, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Laut USAID hat die politische Instabilität im Land erhebliche Auswirkungen auf die afghanische Währung, deren Wert zwischen dem 1. August und 22. August 2021 um 9 % fiel. Aus diesem Wertverfall resultierte ein Preisanstieg bei Nahrungsmitteln. So sind im gleichen Zeitraum die Preise für Weizen um 5 %, die für Reis um 6.6 % und die für Weizenmehl um 8,6 % im Land gestiegen, | ||
+ | > | ||
+ | >USAID, Fact Sheet 4, Afghanistan – Complex Emergency, 27. August 2021. | ||
+ | > | ||
+ | >Auch werden die internationalen Organisationen, | ||
+ | > | ||
+ | >Bei dieser Betrachtung wird es den Klägern nicht gelingen, ihren Lebensunterhalt zusichern, zumal sie über keine Verwandten in Afghanistan verfügen, über die sie Unterstützung vor Ort erfahren könnten. | ||
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+ | {{: | ||
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+ | ==== - VG Gelsenkirchen, | ||
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+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. zu einer solchen Gefährdung selbst in Kabul auch: Dr. M. Danesch, Auskunft an den Hess. Verwaltungsgerichtshof vom 3. September 2013 zum Az. 8 A 1197/12.A; ACCORD, Afghanistan – Dokumentation des Expertengespräches mit Thomas Ruttig und Michael Daxner vom 4. Mai 2016, wonach die Taliban weiterhin landesweit operieren und keine Gebiete existieren, die längerfristig als „sichere Zonen“ gelten können, abrufbar über ecoi.net; Corinne Troxler, Schweizerische Flüchtlingshilfe, | ||
+ | > | ||
+ | >sind die Taliban seit ihrer Machtübernahme nunmehr selbst als staatlicher Akteur im Sinne von § 3 c Nr. 1 AsylG einzustufen. Aus diesem Grund bestand bis zur Machtübernahme durch die Taliben und besteht seither für den Kläger auch keine interne Schutzalternative im Sinne von § 3e AsylG. | ||
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+ | {{: | ||
+ | |||
+ | ===== - Abschiebungsverbote, | ||
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+ | ==== - Humanitäre Bedingungen, | ||
+ | |||
+ | === - VG Gelsenkirchen, | ||
+ | |||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Dabei hat das erkennende Gericht seine frühere Rechtsprechung, | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. zu der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere OVG NRW, Urteile vom 18. Juni 2019 – 13 A 3930/18.A sowie 13 A 3741/18.A –, juris; VGH BadenWürttemberg, | ||
+ | > | ||
+ | >Diese Situation hat sich nach Auffassung des Gerichts durch die Covid-19-Pandemie und die dadurch bedingten humanitären Entwicklungen aber derart verändert, dass nunmehr jedenfalls in Großstädten und zumindest in den Fällen, in denen der junge, erwerbsfähige und alleinstehende Betroffene über kein tragfähiges soziales wie familiäres Netzwerk verfügt und insoweit auf den Tagelöhnermarkt angewiesen ist, nicht mehr die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, das Existenzminimum zu garantieren. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. VGH Baden-Württemberg, | ||
+ | > | ||
+ | >Seit der Machtübernahme der Taliban steht die durch die Folgen der Covid-19-Pandemie und anhaltenden Dürreperioden bereits angespannte Wirtschaftslage nunmehr vor dem vollständigen Kollaps. Rückkehrende verfügen nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern. | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in Afghanistan, | ||
+ | > | ||
+ | >Die allgemeine Schwierigkeit, | ||
+ | > | ||
+ | >Es ist daher davon auszugehen, dass bereits durch die erhebliche Zunahme an Binnenflüchtlingen, | ||
+ | > | ||
+ | >Es ist nicht ersichtlich, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Vgl. VGH Baden-Württemberg, | ||
+ | |||
+ | {{: | ||
+ | |||
+ | === - VG Düsseldorf, | ||
+ | |||
+ | >Unter Zugrundelegung dessen ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger in seinem besonderen Einzelfall unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation und der aktuellen Erkenntnislage zu Afghanistan auch weiterhin im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, weil er aufgrund der dort vorherrschenden, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Auch das Bundesamt ging im Dezember 2020 bei der Prüfung der Einleitung eines Widerrufsverfahrens bei der Mutter des Klägers, der ebenfalls ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt worden war, davon aus, dass unter Berücksichtigung der aktuellen Herkunftsländerinformationen und der dargestellten Lage keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass eine grundlegende und dauerhafte Sachlagenänderung in Afghanistan eingetreten sei. | ||
+ | > | ||
+ | >Bereits im Hinblick auf die Corona-Pandemie hatten mehrere Obergerichte die bis dahin bestehende obergerichtliche Rechtsprechung, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. OVG NRW, Urteile vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A - und - 13 A 3741/18.A - m.w.Nachw. jeweils in juris unter ausführlicher Darstellung der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Verhältnisse für Rückkehrer in Kabul und Herat sowie VGH BW, Urteil vom 29. Oktober 2019 - A 11 S 1203/19 - und vom 29. November 2019 - A 11 S 2376/19 - jeweils in juris unter ausführlicher Darstellung der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Verhältnisse für Rückkehrer in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, | ||
+ | > | ||
+ | >in Frage gestellt und relativiert. So hielt der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH BW) an diesem Grundsatz für alleinstehende gesunde Männer im arbeitsfähigen Alter ohne soziales oder familiäres Netzwerk und ohne Vorliegen sonstiger begünstigender Umstände angesichts der Auswirkungen der CoronaPandemie nicht fest, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VGH BW, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 11 S 2042/20 -, juris. | ||
+ | > | ||
+ | >Das Oberverwaltungsgericht Bremen stellte auf eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall ab, | ||
+ | > | ||
+ | >OVG Bremen, Urteil vom 24. November 2020 - 1 LB 351/20 -, juris, | ||
+ | > | ||
+ | >Bereits im Hinblick auf die Corona-Pandemie hatten mehrere Obergerichte die bis dahin bestehende obergerichtliche Rechtsprechung, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. OVG NRW, Urteile vom 18. Juni 2019 - 13 A 3930/18.A - und - 13 A 3741/18.A - m.w.Nachw. jeweils in juris unter ausführlicher Darstellung der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Verhältnisse für Rückkehrer in Kabul und Herat sowie VGH BW, Urteil vom 29. Oktober 2019 - A 11 S 1203/19 - und vom 29. November 2019 - A 11 S 2376/19 - jeweils in juris unter ausführlicher Darstellung der Sicherheitslage und wirtschaftlichen Verhältnisse für Rückkehrer in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, | ||
+ | > | ||
+ | >in Frage gestellt und relativiert. So hielt der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH BW) an diesem Grundsatz für alleinstehende gesunde Männer im arbeitsfähigen Alter ohne soziales oder familiäres Netzwerk und ohne Vorliegen sonstiger begünstigender Umstände angesichts der Auswirkungen der CoronaPandemie nicht fest, | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. VGH BW, Urteil vom 17. Dezember 2020 - 11 S 2042/20 -, juris. | ||
+ | > | ||
+ | >Das Oberverwaltungsgericht Bremen stellte auf eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall ab, | ||
+ | > | ||
+ | >OVG Bremen, Urteil vom 24. November 2020 - 1 LB 351/20 -, juris, | ||
+ | > | ||
+ | >das rheinland-pfälzische Oberverwaltungsgericht (OVG Rh-Pf.) darauf ab, ob der Rückkehrer ausreichend belastbar und durchsetzungsfähig sei und/oder über familiäre soziale Beziehungen verfüge. | ||
+ | > | ||
+ | >OVG Rh-Pf., Urteil vom 30. November 2020 - 13 A 11421/19 -, juris. | ||
+ | > | ||
+ | >Im Gegensatz dazu hielten der bayerische Verwaltungsgerichtshof (Bay VGH) und das Oberverwaltungsgericht Hamburg auch im Hinblick auf die Corona-Pandemie daran fest, | ||
+ | >das bei Rückkehrern im Allgemeinen nicht die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben seien. | ||
+ | > | ||
+ | >Bay VGH, Urteil vom 26. Oktober 2020 - 13a B 20.31087 - juris und Urteil vom 7. Juni 2021 - 13a B 21.30342 -, juris, Urteil vom 1. Oktober 2020 - 13a B 20.31004 - juris (auch für Hazara); OVG Hamburg, Urteil vom 25. März 2021 - 1 Bf 388/19.A - juris (auch für faktische Iraner). | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2021 - 2 BvQ 8/21-, juris, Rn. 8 und Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 2 BvR 2187/20 -, juris, Rn. 2, | ||
+ | > | ||
+ | >und die daraus folgende humanitäre Lage durch die im August 2021 erfolgte Machtübernahme der Taliban in Afghanistan nicht verbessert. | ||
+ | > | ||
+ | >So auch VG Köln, Urteil vom 13. Oktober 2021 - 2 K 4649/17.A -, juris, Rn. 49; VG Hamburg, Urteil vom 14. September 2021 - 1 A 5112/20 -, juris. | ||
+ | > | ||
+ | >Das sächsische Oberverwaltungsgericht geht aufgrund der Feststellungen des aktuellen Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 22. Oktober 2021 sogar von einer dramatischen Verschlechterung der Verhältnisse nach der Machtübernahme durch die Taliban aus, | ||
+ | > | ||
+ | >OVG Sachsen, Beschluss vom 11. November 2021 - 1 A 347/21.A -, S. 4 des Entscheidungsabdruckes (nicht veröffentlicht), | ||
+ | > | ||
+ | >das VG Cottbus konstatiert zumindest eine nochmalige Verschärfung der humanitären Lage im Land nach der Machtübernahme durch die Taliban, | ||
+ | > | ||
+ | >VG Cottbus, Urteil vom 3. November 2021 - 8 K 306/17.A -, juris, Rn. 38 ff. m.w.Nachw. | ||
+ | > | ||
+ | >Auch nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes in seinem aktuellen Lagebericht hat sich die bereits vor der Machtübernahme der Taliban angespannte wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert und stehe vor dem vollständigen Kollaps. Zahlreiche Haushalte, die von Gehältern im öffentlichen Dienst oder im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder von Tätigkeiten bei internationalen Akteuren abhängig gewesen seien, hätten ihre Einkommensquellen verloren, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Leere öffentliche Kassen und die Sperrung des afghanischen Staatsguthabens im Ausland, sowie internationale und US-Sanktionen gegen Mitglieder der Übergangsregierung haben zu Schwierigkeiten bei der Geldversorgung, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die Vereinten Nationen warnen nachdrücklich vor einer humanitären Katastrophe und Hungersnot in Afghanistan in diesem Winter. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die Hungerkrise in Afghanistan spitze sich dramatisch zu. Aktuell habe fast die Hälfte der Bevölkerung in Afghanistan, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die von Deutschland geförderten humanitären Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen wurden aus Sicherheitsgründen temporär eingestellt. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen, UNAMA sei ebenso wie eine Reihe von VN-Unterorganisationen vor Ort - mit Abstrichen - weiter arbeitsfähig, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Das Auswärtige Amt stellte ferner schon vor der Machtübernahme durch die Taliban fest, dass es wahrscheinlich sei, dass lokale Netzwerke nicht mehr existierten oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt sei und dies die Reintegration stark erschwere, wenn die Rückkehrenden lange Zeit im Ausland gelebt oder Afghanistan mit der ganzen Familie verlassen hätten. Der Mangel an Arbeitsplätzen stelle für den Großteil der Rückkehrenden die größte Schwierigkeit dar, da der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich von lokalen Netzwerken abhänge. Inwiefern das Familiennetzwerk sozialen Halt biete, hänge stark von deren finanziellen Lage ab. | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | |||
+ | {{: | ||
+ | |||
+ | === - VG Düsseldorf, | ||
+ | |||
+ | >Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat sich zusehends verschlechtert, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die neue afghanische Regierung hat zudem keinen Zugriff auf einen wesentlichen Teil der Devisenreserven Afghanistans, | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | > | ||
+ | >Die Wirtschaft in Afghanistan ist nach den Einschätzungen der Vereinten Nationen weitgehend zusammengebrochen. Viele Afghanen hätten ihre Jobs verloren und nun kaum noch Geld. Es drohe ein wirtschaftlicher Zusammenbruch des Staates, | ||
+ | > | ||
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+ | >Laut USAID hat die politische Instabilität im Land erhebliche Auswirkungen auf die afghanische Währung, deren Wert zwischen dem 1. August und 22. August 2021 um 9 Prozent fiel. Aus diesem Wertverfall resultierte ein Preisanstieg bei Nahrungsmitteln. So sind im gleichen Zeitraum die Preise für Weizen um 5 %, die für Reis um 6.6 % und die für Weizenmehl um 8,6 % im Land gestiegen, | ||
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+ | >USAID, Fact Sheet 4, Afghanistan – Complex Emergency, 27. August 2021. | ||
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+ | >Auch werden die internationalen Organisationen, | ||
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+ | >Bei dieser Betrachtung wird es den Klägern nicht gelingen, ihren Lebensunterhalt zu sichern. | ||
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+ | === - VGH Baden-Württemberg, | ||
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+ | PM: | ||
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+ | >**Asyl Afghanistan: | ||
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+ | >Datum: 23.10.2018 | ||
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+ | >Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2018 heute das Urteil im Asylverfahren eines afghanischen Staatsangehörigen verkündet. Die erstinstanzliche Entscheidung, | ||
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+ | >Der Kläger war von früher Kindheit an im Iran aufgewachsen und im Herbst 2015 nach Deutschland gekommen. Mit seinem Asylantrag hatte er hauptsächlich geltend gemacht, dass die Bundesrepublik Deutschland ihn nicht nach Kabul abschieben dürfe. Die Sicherheitslage und die humanitären Bedingungen seien dort so extrem schlecht, dass ihm nach der Abschiebung die Verelendung drohe. Als abgeschobener Rückkehrer aus Westeuropa werde er in der afghanischen Gesellschaft stigmatisiert. Er habe auch kein Netzwerk in Afghanistan, | ||
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+ | >Der 11. Senat des VGH hat sich im Berufungsverfahren in einer mehrstündigen mündlichen Verhandlung über die Lebensbedingungen berichten lassen, auf die afghanische Staatsangehörige nach ihrer Abschiebung aus Deutschland treffen. Das Gericht hatte hierzu die ausgewiesene Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann beauftragt. Stahlmann versuchte, die Schicksale der Personen nachzuverfolgen, | ||
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+ | >Der VGH konnte sich im Ergebnis nicht davon überzeugen, | ||
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+ | >Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des schriftlichen Urteils durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden (Az. A 11 S 316/17). | ||
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